Das Kompliment kommt von Herzen, sehr geehrte Damen. Ehre, wem Ehre gebührt. Schließlich ist das, was heute als chronometrische Selbstverständlichkeit gilt, primär dem weiblichen Geschlecht zu verdanken. Bis in die 1930-er Jahre dachten die meisten Männer nicht einmal im Traum daran, ihre persönliche Uhr ans Handgelenk zu schnallen. Noch 1938, als Armbanduhren schon gut zwei Drittel des millionenschweren Wachstumsmarkts für tragbare Zeitmesser abdeckten, stellte Junghans die eher provokativ gemeinte Frage: „Sind Armbanduhren männlich?”. Um eine Antwort war der größte deutsche Uhrenfabrikant keineswegs verlegen: „Manche Männer lehnen die Armbanduhr ab, angeblich weil sie für ihren Träger mehr Schmuck als Zeitmesser bedeuten.”
Diese Aussage kam freilich nicht von ungefähr. Sie spiegelte lange gehegte und aus unterschiedlichen Quellen genährte Ressentiments wider. Zum Beispiel hatte 1916 ein Fachhändler lauthals gemosert, dass die Armbanduhr trotz aller zugeschriebenen Mängel mehr und mehr verlangt werde und der Geschmack des vorwiegend weiblichen Publikums zu respektieren sei. Dennoch betrachte er dessen Vorliebe als eine Verirrung des femininen Geschmacks, denn das Handgelenk sei sicherlich der unpassendste Ort zur Befestigung einer Uhr. Diese Auffassung teilte 1917 auch Dr. Hermann Bock: „Die Modenarrheit, die Uhr an der unruhigsten und den gröbsten Temperaturschwankungen ausgesetzten Körperstelle, im Armbande, zu tragen, verschwindet hoffentlich bald wieder. Besonders störend wirken rhythmische Bewegungen wie Laufen und Reiten, weil sich die Störungen bei ihnen summieren.“
Mit seinem Statement sprach der Hamburger Professor vor allem Handwerkern aus der Seele, welche sich immer häufiger mit Reparatur und Wartung einer „ganz besonderen Uhrenabart“ herumschlagen mussten, „die so schwierig wie am Werktisch auch mit der Feder am Schreibtisch zu behandeln ist.” Ihr hatte Bruno Hillmann sein 1925 publiziertes Buch „Die Armbanduhr – ihr Wesen und ihre Behandlung bei der Reparatur“ gewidmet.
Schon im Vorwort des dünnen Traktats wünschte der Uhrmacher inständig, dass durch die „stetig zunehmende Vermännlichung des weiblichen Geschlechts”, mit der auch die „Herrenweste bei den Damen Trumpf” werde … „endlich die Erlösungsstunde von der Tyrannei der Armbanduhr” schlage. Am Ende steht freilich die eher resignierende Einsicht, dass sein Optimismus verfrüht gewesen sei, denn „Die Göttin Mode’ ist eben auch von göttlicher Launenhaftigkeit, und die Modeschöpfer sind zu gute Geschäftsleute. Nur zu bald hatte man herausgefunden, dass die Sehnsucht des Weibes, dem Manne mehr und mehr zu ähneln, nur auf Kosten wichtiger Toilette-Industrien befriedigt werden könnte, was neben großen Kapitalverlusten auch für Tausende von Menschen, die bis jetzt auf diesem Gebiet ihr Brot verdienen, den Verlust der Existenz bedeuten würde. Um dies in menschenfreundlicher Absicht zu verhüten, heißt es nun wieder ‚Lasse dem Manne was des Mannes ist!’ und glücklich hat man nun endlich wieder herausgefunden, dass des Weibes schönster Schmuck gerade seine Weiblichkeit ist. Angesichts dieser Erkenntnis können wir uns nun wieder mit dem Gedanken vertraut machen, dass es mit der Damen-Herrenuhr noch gute Weile hat, dass wohl schließlich überhaupt nichts daraus wird und die Damen-Armbanduhr noch auf lange hinaus siegreich das Feld behaupten wird.”
Damit traf der Berliner den Nagel tatsächlich auf den Kopf. Möglicherweise wäre sein Urteil deutlich milder ausgefallen, hätte er erst zwei Jahre später zur Feder gegriffen. Im November 1927 bestand die Armbanduhr ihre spektakuläre Wassertaufe am Handgelenk von Mercedes Gleitze. Am 7. des Monats punkt 02:55 Uhr stieg die Londoner Stenotypistin beim französischen Cap Griz-Nez ins kalte Wasser, um den Ärmelkanal schwimmend zu durchqueren. Nach qualvollen 15 Stunden und 15 Minuten betrat die erschöpfte Amazone um 18.10 Uhr britischen Boden. Zwei Wochen später stieg die als Betrügerin gebrandmarkte Engländerin in noch kälteres Wasser. Dieser abermalige Versuch scheiterte zwar wenige Kilometer vor dem Ziel, trug Mercedes Gleitze aber dennoch große Sympathie ein. Im Gegensatz zur völlig ausgelaugten Schwimmerin tickte die nun mitgeführte Uhr, als wäre rein gar nichts geschehen.
Wenige Wochen später, die Kalender zeigten den 24. November 1927, titelte die Londoner Daily Mail: „Die Wunderuhr, welche den Elementen widersteht.“ Und zwar in Gestalt eines ganzseitigen Inserats, geschaltet von Hans Wilsdorf, einem 1881 geborenen Bayern, der sich 1905 in London selbständig gemacht, 1908 das Label Rolex ersonnen und 1926 seine „Oyster“ als erste anhaltend wasserdichte Armbanduhr vornehmlich für Damen vorgestellt hatte. Die Präsentation der Weltpremiere vor mehr als zwei Millionen Lesern kostete die für damalige Verhältnisse gigantische Summe von 1’600 Pfund Sterling Gold. Retrospektiv betrachtet war sie das investierte Geld bis auf den letzten Penny wert. Dazu der kreative Firmengründer: „Als Rolex die auf meine Initiative hin geschaffene erste wasserdichte Uhr der Welt, die Rolex-Oyster, auf den Markt brachte, setzte sich der Name Rolex endgültig durch, und wir konnten bekanntgeben, dass inskünftig keine Uhr mehr geliefert würde, die nicht auf dem Zifferblatt, auf der Innenseite des Gehäuses und auf dem Werk selbst unsere Marke trägt.“
1931 sah man auch Evelyn Laye mit einer Rolex. Demonstrativ tauchte die populäre englische Schauspielerin ihre Oyster in ein Goldfisch-Glas. Diese sowie viele ähnliche Aktionen des ausgefuchsten Marketingspezialisten, der seine Aktivitäten 1920 nach Genf verlegt und dort die Montres Rolex SA gegründet hatte, machten die Armbanduhr sukzessive auch bei Männern salonfähig.
Spätestens jetzt heißt es zurückblicken in die erstaunlich lange Geschichte der Armbanduhr, welche streng genommen 1571 mit Queen Elizabeth I. in Merry Old England begann. Seine Monarchin beschenkte der Graf von Leicester anlässlich der Wiedereinführung der Revolution mit einer Uhr fürs Handgelenk. Wie sie aussah, ist weder von Chronisten noch Hofmalern überliefert. Das gilt auch für jene Anhängeuhren des 18. Jahrhunderts, welche pragmatisch denkende Mütter und Erzieherinnen zum Schutz vor grapschenden Kinderhänden am Unterarm befestigten.
Die dokumentierte und tatsächlich belegbare Geschichte der ersten wirklichen Armbanduhr liest sich fast wie ein wahr gewordenes Märchen. Mit von der Partie: Der Erste Konsul Bonaparte, welcher sich Anfang des 19. Jahrhunderts samt Entourage zum Pariser Théâtre Français kutschieren ließ. Unterwegs gingen die Pferde durch. Just vor dem Geschäft eines Juweliers in der Rue Saint Honoré stürzte das Gefährt um. Aufgeschreckt durch die Geräuschkulisse eilten Etienne Nitot und seine Mitarbeiter der verdutzten Abendgesellschaft zu Hilfe. Ein Getränk im Atelier verkürzte das Warten bis zum Aufrichten der Kutsche. Kurz vorm Weiterfahren raunte Bonaparte seinem selbstlosen Gastgeber noch zu, dass er dessen Hilfsbereitschaft nicht vergessen werde.
Nitot erinnerte sich auch, als er von der anstehenden Krönungszeremonie am 2. Dezember 1804 in der Kirche von Notre Dame hörte. In der Absicht, einzigartige Kronjuwelen fertigen zu dürfen, begab er sich gemeinsam mit dem erfahrenen Edelsteinhändler Salomon Halphen zum Palais des Tuileries. Zwar zeigte sich der angehende Regent von der Kompetenz des Vorstadtjuweliers nicht hundertprozentig überzeugt, lenkte letztendlich aber doch ein. Nun musste das Bittsteller-Duo begrenzte Finanzmittel zum Kauf der nötigen Materialien beichten. Den Mut zum Geständnis belohnte ein Vorschuss in Höhe von 2,5 Millionen Francs. Die Endabrechnung für prächtige Kronjuwelen, welche den hoch gesteckten Erwartungen selbstverständlich gerecht wurden, belief sich auf rund 15 Millionen Franken.
Marie-Etienne Nitot avancierte zum offiziellen Juwelier des Königshauses und war daher logischer Weise am Zuge, als die luxusbesessene Kaiserin Joséphine de Beauharnais zwei Jahre später ein attraktives Hochzeitsgeschenk für Prinzessin Auguste Amalia Ludovika von Bayern benötigte. Anfangs gegen ihren erklärten Willen wurde die älteste Tochter König Maximilian I. am 14. Januar 1806 in München mit Eugène de Beauharnais, dem Adoptivsohn des französischen Kaisers verheiratet. Abermals lief der Gründer des Nobeljuweliers Chaumet zu Höchstform auf. Seiner Kreativität entsprang ein Paar schmückender Armbänder. Eines davon beinhaltete ein manuell schaltbares Kalendarium mit Anzeige von Datum und Wochentag. Im Pendant tickte ein kleines Uhrwerk, dessen Zugfeder täglich per Schlüssel gespannt werden musste.
In den Jahren zwischen 1831 bis 1838 bedienten die Nachfolger des genialen Uhrmachers Abraham-Louis Breguet einige ihrer wohlhabenden Kundinnen mit Uhren fürs Handgelenk. Den lückenlosen Archivbüchern zufolge tickten im Inneren kleine Uhrwerke mit rund 18 Millimeter Durchmesser. 1868 fertigte die Genfer Nobel-Manufaktur Patek, Philippe & Co. ein feines Goldarmband mit baguetteförmigem Uhrwerk. Bis zum Verkauf dieses erlesenen Stücks zogen allerdings fünf Jahre durch die eidgenössischen Lande. Das Ablesen der Zeit bedingte eine ostentative Geste. Bevor die stolze Besitzerin auf Zifferblatt und Zeiger dieser Preziose blicken konnte, musste sie erst einen mächtigen Diamanten lupfen.
Zwanzig Jahre später berichteten Fachzeitschriften, dass amerikanische Touristinnen in Luzern großen Gefallen an goldenen oder silbernen Armbanduhren mit so genannten Scherenbändern fanden. Und 1913 befragte ein großes Modejournal seine Leserinnen nach ihrem liebsten Schmuckstück. Die Tatsache, dass 70 Prozent der antwortenden Damen die Armbanduhr nannten, verwundert nicht mehr sonderlich.
Der Grund liegt auf der Hand, oder besser gesagt am Handgelenk. Frauen gingen mit der Mode, wählten Ihre Kleidung trendgemäß aus und bekamen Probleme mit den überlieferten, sprich an Kette oder Brosche hängenden Uhren. Mal passten sie, mal aber auch nicht. Außerdem fanden sie es unschicklich, während eines Rendezvous ihren Zeitmesser ostentativ zu zücken. Getreu dem Gebot des belgischen Philosophen Phil Bosmans: „Wenn du Zeit für jemanden hast, dann schau nicht auf die Uhr!“
Ungeachtet aller Bedenken verlangten geschäftstüchtige Juweliere und ihre Kundinnen nach den stetig steigenden Sternen am Uhrenhimmel. Fabrikanten erhörten die Wünsche, reagierten durch praktisch handhabbare aber empfindliche Kreationen … und reüssierten. 1924 schrieb Leopold Reverchon in „Der Uhrmacher”: „Heute kann man sagen, dass sie (die Armbanduhr) die Welt erobert hat: Sie wird von der Arbeiterin ebenso getragen wie von der Dame von Welt.“ Den Beweis, dass feminine Modelle genauso präzise sein können, wie die deutlich größeren Herren-Taschenuhren, hatte besagter Hans Wilsdorf übrigens schon 1910 angetreten. Nach zweiwöchigen Tests bestätigte das Bieler Prüfbüro einer kleinen Armbanduhr mit 11-linigem Uhrwerk (Durchmesser rund 24 Millimeter) echte Chronometerqualität. Weitere Erfolge ähnlicher Art ließen nicht lange auf sich warten, wurden aber kaum vernommen.
Zur Ehrenrettung des von rasch wechselnder Kleidermode weniger geplagten männlichen Geschlechts sei in diesem Zusammenhang konstatiert, dass
Als Männer die Armbanduhr ab den 1940-er Jahren endlich auf breiter Front akzeptierten, begannen für die Pionierinnen weniger erfreuliche Zeiten. Gleichberechtigung entwickelte sich zum Fremdwort für die Industrie. Damen bekamen verkleinerte Abbilder von Herrenuhren oder Zierliches mit viel Bling-Bling. Das, so meinen Produktgestalter, komme weiblichen Wünschen besonders entgegen. Diamonds Are a Girl’s Best Friend.
Die solcherart Vernachlässigten wehren sich auf ihre Weise. Ihr Slogan: „Seine Uhr für mich!“ IWC schoss 1999 mit ganzseitigen Anzeigen zurück. „Ihr fahrt unsere Harley Davidson, raucht unsere Cohiba, trinkt unseren Lagavulin. Lasst uns wenigstens unsere IWC!“ Der provokative Appell fruchtete. Ohne diese Anzeigen, bekannten damals gar nicht wenige Frauen, hätten wir solche Uhren niemals mit Bewusstsein angeschaut. So betrachtet erleben uhr-affine Ladies glänzende Zeiten. Im Gegensatz zu Männern, die schwerlich Damenuhren tragen können, steht dem weiblichen Geschlecht die ganze Bandbreite des chronometrischen Marktgeschehens offen. Frau muss sich halt nur trauen.
Fotos mit freundlicher Genehmigung vom Autor