Riva – das ultimative Vergnügungsboot

Früher war das wichtigste Verkehrsmittel des Jetsets nicht etwa ein Flugzeug mit fauchenden Turbinen, sondern ein wunderschönes italienisches Holzboot mit zwei grummelnden V8-Motoren des amerikanischen Herstellers Chris-Craft.

Das war das Riva-Boot, das ultimative Sportboot, dessen einziger Zweck darin bestand, eine ungezügelte Hautevolee von einem Amüsement zum nächsten zu schippern. Eine Riva ist, weiss Gott, kein Arbeitskahn. Kaum ein anderes handgefertigtes Produkt bietet eine so erlesene Ästhetik und einen so wohlklingenden Antrieb. Aber lassen wir den Jetset beiseite. Allein der Anblick eines Riva-Boots weckt all die komplexen Gefühle, aus denen sich die Idee des Dolce Vita zusammensetzt. Auf dem Wasser ist es der Gipfel des Hedonismus.

Riva Aquarama – erste Ikone des Jetset

Den Anfang machte die Riva Ariston, dann gab es die Tritone und danach die Florida. Das Glanzlicht war jedoch die Riva Aquarama von 1962. Der Name war eine Anspielung auf das Cinerama-Breitwandformat und unterstrich nicht nur die marktimmanente Beziehung zu Hollywood, sondern suggerierte zugleich die Fähigkeit der Aquarama, ihre eigenen dramatischen Effekte zu erzielen. Zum Zeitpunkt ihrer Premiere kostete eine Aquarama 10’800’000 Lire (oder 12’600 Schweizer Franken) und glitt mit 73 Kilometern in der Stunde verführerisch durch südliche Gewässer.

Die Nostalgiegefühle, die Riva-Boote unweigerlich in uns auslösen, beruhen darauf, dass sie für ein goldenes Zeitalter in einer Welt einfacherer Mechanismen stehen. Geprägt wurde der Begriff «Jetset» in einer amerikanischen Kolumne, verfasst von einem gewissen Cholly Knickerbocker. Unter diesem Pseudonym schrieb damals Igor Cassini, der Bruder des russischen Einwanderers Oleg Cassini, seines Zeichens Hauscouturier von Jackie Kennedy und Designer des berüchtigten Pillbox-Huts.

«Jetset» verdrängte die «Café Society», Maury Pauls Versuch auf dem Gebiet der populäranthropologischen Klassifizierung. Während die Café Society vornehmlich in Strassencafés oder schummrigen Nachtclubs anzutreffen war, begab sich der Jetset auf Reisen, um die Bräune zu pflegen. Tatsächlich waren es die Reisen, die diese Gruppe definierten. Frank Whittle mag das Düsentriebwerk in einem schmuddeligen, unscheinbaren Labor in Rugby im englischen Warwickshire entwickelt haben, aber seine Erfindung sollte dazu bestimmt sein, die ewigen Urlauber der «beau monde» von Küste zu Küste zu transportieren.

Riva – das ultimative Vergnügungsboot

Der Jetset verliess London und New York in Richtung Paris und Rom. Weitere beliebte Stationen waren Cannes, St. Tropez, Portofino, Porto Ercole, Capri, Marbella, Ibiza und Paradise Island. Die dort aufgenommenen Fotos erzeugten die erste globale Vision vom süssen Leben. Der Jetset hatte Hotels und Villen mit Pools, allesamt von derart gesichtsloser Perfektion, dass nur die gewieftesten Köpfe einen Unterschied zwischen den Bahamas, Capri und den Balearen feststellen konnten. Der Jetset hatte auch seine ganz speziellen Uniformen, Accessoires und Hobbys: Caprihosen, Ray-Bans, Espadrilles und natürlich die unvermeidliche Riva, mit der die Flaute zwischen Lunch und Cocktailstunde überbrückt wurde.

Die de Havilland Comet startete 1949 zum Jungfernflug. Im Sommer desselben Jahres eröffnete Gigi Figoli im italienischen Santa Margherita Ligure die erste Wasserskischule. Und das dortige Grand Hotel Miramare schaffte für seine wasserverliebten Gäste eine Riva Florida an. Allein der Kontrast zwischen glänzenden harten Oberflächen und üppig-weicher Polsterung im Cockpit stellt eine quasi-erotische Begegnung von Textur und Effekt dar – die vielen Passagieren unterschwellig aufgefallen sein mag.

Der Ursprung von Riva am Lago d’Iseo

Die Familie Riva betrieb seit 1842 eine Bootswerft in Sarnico am Iseosee und übte dort ihr Traditionshandwerk aus. Die Sportboote kamen erst später. Die erste Tritone war von den amerikanischen Hacker-Craft-Booten inspiriert, und auch das Vorbild der unnachahmlichen Aquarama stammt aus den USA. Ihre Designsprache – expressiver Chrom und Polsterung in Pastelfarben – zeigt deutliche Anklänge an Detroit, doch die Riva wirkt trotz allem typisch italienisch.

Auf ihre ureigene Art waren Riva und Ferrari einander ebenbürtig. Beide – Carlo Riva und Enzo Ferrari – waren Praktiker und keine Traumtänzer. Riva (1922–2017) erklärte einmal: «Ich habe in zwanzig Tagen auf See mehr gelernt, als in einem Jahr auf der Werft». Der wesentliche Antrieb des selbsternannten «ingegnere» war das Handwerklich-Praktische. Genau wie Ferrari verlieh Riva einer italienischen Vorstellung von Schönheit Gestalt.

"I learnt more in twenty days at sea than in a year at the boatyard"

Carlo Riva

Die Kultur der Bella Figura

Die Italiener drücken sich gern metaphorisch aus, und ihre elegante Sprache kommt dem entgegen. Die italienische Kultur ist die der «bella figura», die besagt, dass Aussehen, Manieren und Liebenswürdigkeit für ein wohl abgerundetes Leben unerlässlich sind. Das gilt für Boote und Fahrzeuge genauso wie für Menschen.

Und dann wäre da noch das Konzept des Dolce Vita. Geschaffen wurde es von Federico Fellini, dessen Film aus dem Jahr 1960 ein unbestrittenes Meisterwerk des internationalen Kinos ist. Tatsächlich ist der Begriff aber noch viel tiefer in der italienischen Kultur und ihren eleganten, historischen Posen verwurzelt. Ums Dolcefarniente geht es – ums süsse Nichtstun. Und wenn auf einem Boot nichts zu tun ist, dann umso besser. Um Riva zu zitieren: «Sonne, Meer, Lebensfreude!»

Riva – das ultimative Vergnügungsboot

Hollywood meets Italy – auf einem Riva-Boot

Die Internationalen Filmfestspiele von Venedig zogen alle Grössen des italienischen Films an – Fellini, Antonioni, Rosi, Olmi, Bertolucci, Pasolini, de Sica und Zurlini – und mit ihnen deren unvermeidliches Gefolge von Fotografen, Agenten, Reportern und Müssiggängern. Zu den PR-Shootings in der Lagune fuhren sie auf Riva-Booten und wurden so zu Werbeträgern der Marke. Zu den Riva-Kunden zählten auch König Hussein von Jordanien, Anita Ekberg, Gianni Agnelli, Jackie Kennedy, Richard Burton, der Schah von Persien, Sophia Loren und Sean Connery.

Mittlerweile haben Superjachten die Riva als Spielzeug der Ultrareichen verdrängt. Anzeigen im Hausmagazin der globalen Superjachtgemeinde lauten nicht selten: «Zu vermieten: GBP 500’000 pro Woche». In dieser Welt lernt man die sonderbarsten Dinge. Nur fünfzehn der weltweit grössten Superjachten verfügen über zweiHubschrauberlandeplätze. Nur sieben über eine Hubschraubergarage. Je nach Aussenanstrich und Beschlägen bezahlen Superjachtkäufer mit Eurocopter 145 in der Regel etwa 6,4 Millionen US-Dollar. Die Anschaffung gilt als Accessoire. Im Vergleich dazu erscheint Jayne Mansfields kurvenreiche Riva geradezu bescheiden.

Die Geschicke des Unternehmens Riva folgte den konjunkturellen Makroentwicklungen. Carlo trat aus Protest gegen die Obstruktionspolitik der Gewerkschaften zurück. Im Jahr 1988 wurde Riva von Vickers aufgekauft, das damals Rolls-Royce gehörte und somit durchaus als gute Partie gelten konnte. Dann lief auch Vickers ins Leere. Und plötzlich – zu einem Zeitpunkt, wo Superjachten in Millionen Dollar pro Quadratmeter ausgepreist und für ihre Vulgarität belächelt werden – erlebt Riva eine Renaissance als Boot für wählerische Hedonisten.

Doch die Wehmut des flüchtigen Vergnügens bleibt. Tina Onassis Niarchos, Gattin zweier Reeder, sagte einmal (vielleicht hinter dem Steuer einer Aquarama auf dem Weg zum Lunch in San Fruttuoso): «Es ist gar nicht so schwer, reich und glücklich zu sein». Wer sich die Archive von Riva ansieht und nicht gerade ein ausgemachter Langweiler ist, wird dem mit Sicherheit zustimmen. Wie Carlo Riva bei 73 Stundenkilometern auf dem blauen Meer einst erklärte: «Die Sonne kräftigt den Lebensfaden».

Stephen Bayley Stephen Bayley ist ein Britischer Design- und Kulturkritiker, Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für Vanity Fair, Financial Times, The Telegraph und die Süddeutsche Zeitung. http://www.stephenbayley.com/

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