Sotheby’s versteigert David Bowies Kunstsammlung

Keine Frage: Die Rockmusik zählt ebenso wie Filme und Design zu den prägenden kulturellen Einflüssen unserer Zeit. Etwas Vergleichbares hat es noch nie gegeben – und es scheint, als suchten die grossen Rockikonen des vorigen Jahrhunderts heutzutage noch immer ihresgleichen: Kanye West und Lady Gaga mögen enthusiastische Anhänger haben, doch ihre Produkte erscheinen dürftig, verglichen mit dem Werk eines Bob Dylan, eines John Lennon und nicht zuletzt eines David Bowie. Werden Kanye und Gaga den Wandel der Mode überleben? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Die verstorbenen weissen Männer im besten Alter haben es da besser.

Die grossen Rockstars geben sich eigentümlich bescheiden. Auf seine rabbinisch verblümte Art hat etwa Bob Dylan den eigenen Ruhm und Einfluss stets verschmäht. John Lennon hat einmal gesagt, dass die Beatles im Prinzip nur eine gute Provinzband waren, die Glück hatte und ganz gross herauskam. Als ob das Zufall gewesen wäre … Elvis hatte zum Thema Kultur nichts Nennenswertes zu sagen – aber vielleicht ahnte er tief in seiner schlichten Südstaatenseele, dass seine Musik für ihn spricht. Und das tut sie natürlich. Dylan, Lennon und Presley kümmerten sich kaum um ihr musikalisches Vermächtnis.

Ein erfolgreicher Rockstar zu sein, ist eine Sache…

…aber Bowie war von vornherein anders. Er war am Puls des späten 20. Jahrhunderts und wollte mit dessen moribundem Wesen unter eine Decke kriechen. Sein Selbstbild ging weit über das des produktiven und erfolgreichen Popstars hinaus: Er strebte nach der Legitimität des Auteurs. In seinem Werk findet man überall Verweise auf die Kunst: Im Song «Andy Warhol» auf dem 1971 erschienenen Album «Hunky Dory» gibt es beispielsweise folgenden Vers: «I’d like to be a gallery/Put you all inside my show» («Ich möchte eine Galerie sein/Und euch alle in meine Ausstellung hängen»).

Die Begegnung mit Andy Warhol in dessen Studio The Factory in jenem Jahr stellte möglicherweise einen Wendepunkt dar: Genau wie Warhol mauserte sich Bowie zu einer raffiniert vermarkteten Brand, die die überkommenen, irrelevanten Grenzen zwischen «Kunst» und «Kommerz» verwischte. Er war eine Ein-Mann-Galerie.

"Bowies vielfältigen Geschmack liess sein umfangreiches Archiv an herausragenden Werken - von gefeierten bis weitgehend unbekannten Künstlern - zu einer Sammlung unvergleichlichen Eklektizismus' wachsen."

Sotheby's

Kunstsammlung in Museumsqualität

Um die ersehnte Kulturbeziehung zu unterstreichen, sammelte er – zwischen einem bunten Kostümwechsel und dem nächsten – Kunstwerke in Museumsqualität. Er mag an Elvis Presleys pinken Cadillac oder John Lennons psychedelischen Rolls-Royce gedacht haben, als er sagte: «Kunst ist das Einzige, was ich wirklich besitzen wollte». Weder Bob Dylan noch John Lennon haben je etwas Vergleichbares getan. Elvis hinterliess der Nachwelt nur fabelhafte Alben und Berge von monströsem Kitsch in Graceland. Die Bowie Collection hingegen, die das Auktionshaus Sotheby’s diesen November in drei Durchgängen versteigern wird, vermittelt lebhafte Einblicke in eine einzigartige kreative Persönlichkeit.

Zudem sagt sie viel über modische Kunstauffassungen aus. Sotheby’s bezeichnet ihn als einen der anerkanntesten und meistverehrten Künstler der Welt und macht Bowie damit ein grosses Kompliment. Kein Zweifel, die Auktion wird dafür sorgen, dass Bowie länger als Warhols „15 Minuten“ berühmt bleibt. Im Jahr 1990 verkaufte er ein Gemälde für 500 US-Dollar. Dieses Jahr kommt seine Sammlung für Abermillionen unter den Hammer.

Kunst ist eine Sache, die Kunstwelt jedoch eine ganz andere. Obwohl seine Liebe zur Kunst echt war, wird Bowie eher mit der schillernden Kunstwelt als mit dem stillen und qualvollen Ringen um die Kunst selbst assoziiert. Historisch betrachtet, entstand die Kunstwelt, als Malerei und Bildhauerei ihren religiösen oder sozialen Zweck verloren. Kunsthändler wie Colnaghi, Vollard oder Duveen eroberten den Markt.

Oder, besser gesagt, sie schufen Märkte. «Ismen» wurden erfunden, pflichtgemäss dokumentiert und von den neuen Kunsthistorikern für gültig erklärt. Und da Design und Popkultur die traditionellen Rollen von Malerei und Bildhauerei übernahmen, indem sie gemeinverständliche Bilder von Sehnsucht und Verlangen vermittelten, begann die Kunstwelt, sich auf der Jagd nach Anerkennung immer mehr um die eigene Achse zu drehen.

Sotheby’s versteigert David Bowies Kunstsammlung

Kunstakademie und Vorstadtleben

Was prägte David Bowies Geschmack? Wie John Lennon oder Pete Townsend von The Who wuchs auch Bowie in einer wenig attraktiven Vorstadt auf. Es wird oft behauptet, Vorstädte seien unerträglich langweilig – anscheinend sind sie aber auch ein Nährboden für Genie. Wie Lennon und Townsend besuchte auch Bowie eine Kunstakademie und profitierte von Grossbritanniens unverwechselbarem künstlerischen Bildungssystem, das die talentierte Vorstadtjugend dazu ermunterte, ihre Herkunft hinter sich zu lassen. Mit Erfolg.

Doch Bowie hat die Vorstädte nie vergessen: Zu seiner Sammlung zählen Gemälde von Frank Auerbach, Leon Kossoff, Harold Gilman und David Bomberg. Solide, malerische Kunstwerke, die an regnerische Nachmittage im Studio und das braune und deprimierende London der Nachkriegszeit erinnern. Er sammelte auch Bilder von Graham Sutherland, einem Maler, dessen langweilige Gediegenheit einmal jemanden zu der Aussage verleitete, er sehe wie ein Zahnarzt aus. Natürlich interessierte sich Bowie auch für Damien Hirst. Und für Henry Moore. Betrachtet man diese Gruppe von Künstlern, erkennt man ein rührendes und seltsam «englisches» Muster in seiner Sammlerleidenschaft.

Doch mittlerweile war New York zu Bowies Heimatstadt geworden, und in den Jahren, in denen Jean-Michel Basquiat sich seinen sensationellen Ruf erarbeitete, lebte er in Manhattan. Der altgediente Kunstkritiker Hilton Kramer hat Folgendes zu Basquiat zu sagen: «Ein talentloser Gauner, gewieft, aber bodenlos ignorant, der seine Jugend, sein Aussehen, seine Hautfarbe und seinen überschäumenden Sex-Appeal ausnutzte, um über Nacht berühmt zu werden – was ihm letztendlich zum Verhängnis wurde.» Passt.

Aussenseiter und Designgötter

Bowie sammelte natürlich Basquiat. Der hingegen wollte eigentlich Rockstar werden, was immerhin für eine angenehme Symmetrie in ihrer Beziehung sorgte. Doch Bowie, wie um zu demonstrieren, dass ihn die eitle Kunstwelt wenigstens nicht vollständig über den Tisch ziehen konnte, liess sich 1998 auf einen Schwindel ein. An einer Party im New Yorker Apartment von Jeff Koons lancierten Romancier Will Boyd und David Bowie die Karriere von «Nat Tate», einem frei erfundenen Künstler samt fingiertem – und verschollenem – Oeuvre.

Bowie sammelte ausserdem auch Art brut und – lange bevor dies «in» war – zeitgenössische afrikanische Kunst. Und für italienische Designer hat er sich interessiert. Ettore Sottsass war der grosse Zauberer der Mailänder Designszene, der im Jahre 1982 «Memphis» ins Leben rief. Hierbei handelte es sich um einen Zusammenschluss von Designern, die der Selbstgefälligkeit ein Ende setzen und mit den einfallslosen Hausmittelchen des guten Geschmacks aufräumen wollten. Bezeichnenderweise sagte Sottsass von sich selbst, dass auch er die Vorstadt zitiere und sich vom Stumpfsinn inspirieren lasse. Doch in der Bowie Collection findet sich auch ein Klassiker des populären italienischen Modernismus: Achille Castiglionis Plattenspieler für Brionvega aus dem Jahr 1966.

Ich stelle mir gern vor, wie Andy Warhol und Jeff Koons bei Bowie zu Besuch sind, und die drei sich auf dem imposanten und steifen Brionvega-Gerät «Tutti Frutti» von Little Richard anhören. Als David Bowie dieses prototypische Meisterwerk der Popmusik 1955 zum ersten Mal hörte, sagte er: «Ich habe Gott gehört». Die Aussage mag von einem begrenzten Gottesbild zeugen – doch sie verriet auch den Ernst, der unter all dem Talmi begraben war.

Der Mann, der als David Jones geboren wurde, hatte ein unsicheres Verhältnis zur eigenen Identität. Schliesslich musste er den Jones durch den Bowie ersetzen. Später sagte er einmal: «Ich verkleide mich lieber als Ziggi, als David zu sein.» Die Kunst, die er sammelte, half ihm jedoch dabei, sich auszudrücken. Über ein Gemälde von Frank Auerbach schwärmte er: «So wie dieses Bild aussieht, würde ich gerne klingen.» Für den kommenden Tag wappnete er sich damit, dass er sich mit den Kunstwerken in seiner Sammlung «unterhielt», denn «sie verleihen meiner Angst einen spirituellen Stellenwert».

Bowies Sammlung: Mehr als nur 15 Minuten Ruhm

Im Jahr 1995 interviewte Bowie Damien Hirst für das Magazin «Modern Painters» und war der Meinung, dass «seine Angst vor dem Tod sehr ausgeprägt ist». Tatsächlich sagte Hirst selbst einmal, dass sein Name ein Anagramm von «Is Mr Death In?» («Ist Herr Tod da?») sei. Für eine Welt, die an Bowies überhöhte Bühnenkunst und die sorgfältig inszenierten Veröffentlichungen seiner thematisch ausgerichteten Alben gewöhnt war, kam sein Tod völlig überraschend. Genau wie die Existenz der aussergewöhnlichen Bowie Collection. Vielleicht hat Bowies Kunstsammlung ihm dabei geholfen, die Angst vor dem Tod abzuschütteln. Ars longa, Vita brevis – die Kunst ist lang, das Leben kurz. In der Tat. Kossoff, Auerbach, Bomberg, Sutherland, Hirst, Basquiat, Sottsass und Castiglioni sind alle Exponate in Bowies Galerie. Wie er schon vor 45 Jahren sang: «Put you all inside my show». Ich hänge euch alle in meine Ausstellung. Sie werden ihm weit mehr als nur 15 Minuten Ruhm bescheren.

Weitere Informationen finden Sie unter www.sothebys.com

Stephen Bayley Stephen Bayley ist ein Britischer Design- und Kulturkritiker, Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für Vanity Fair, Financial Times, The Telegraph und die Süddeutsche Zeitung. http://www.stephenbayley.com/

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